Lange haben sie die Inflation unterschätzt, jetzt werden die Beschäftigten der Europäischen Zentralbank die Lohn-Preis-Spirale zumindest nicht persönlich antreiben: Beim eigenen Gehalt sollen sie in diesem Jahr Kaufkraftverluste hinnehmen.
Zum ersten Mal seit 2009 könnte die Gewerkschaft der Europäischen Zentralbank (EZB) diesen Monat in Streik treten. Denn mit einem Inflationsausgleich von 4,07 Prozent, gerade einmal der Hälfte der Inflationsrate im vergangenen Jahr, sind die Mitarbeiter, die von der Internationalen und Europäischen Öffentlichen Dienst Organisation (Ipso) vertreten werden, unzufrieden.
Auch voriges Jahr stieg das Gehalt nur um 1,48 Prozent. In den Spitzenpositionen gibt es auch nicht mehr obendrauf. Für das EZB-Toppersonal standen in den vergangenen Jahren nur Zuwächse zwischen ein und zwei Prozent an. Allerdings dürfte der fehlende Inflationsausgleich bei einem Bruttogrundgehalt von gut 420.000 Euro im Jahr, wie es Präsidentin Christine Lagarde verdient, oder den 300.000 Euro, die jedes Direktoriumsmitglied erhält, wohl kaum ins soziale Elend treiben.
Zuschläge, Privilegien und Goodies
EZB-Beschäftigte genießen aber auch Privilegien und Goodies, je nach Familiensituation. So können sie Zuschläge geltend machen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Partner oder Partnerin nicht mehr als knapp 61.000 Euro im Jahr verdienen. Dann gilt man als Hauptverdienender und bekommt fünf Prozent des Grundgehalts obendrauf. Zusätzlich können Kinder- (370 Euro pro Kind und Monat) und Ausbildungszuschläge (nochmal 330 Euro pro Kind und Monat) in Anspruch genommen werden. Die Europäische Schule am EZB-Sitz Frankfurt ist für Kinder von EZB-Mitarbeitern gratis. Andere Kinder bezahlen, so sie aufgenommen werden, bis zu 7800 Euro pro Jahr.
Insgesamt haben sich die Personalaufwendungen der EZB seit 2017 um gut 25 Prozent erhöht, auf mittlerweile 674 Millionen Euro. Im Jahresbericht rechtfertigt die EZB diesen Zuwachs mit Hinweis auf die nach Übernahme weiterer Aufgaben gestiegene Zahl der Mitarbeiter und höheren Rücklagen für Rentenansprüche.
Neue Regulierung nach zweifelhaften US-Notenbanker-Deals
Bei den europäischen Notenbankern lohnt sich allerdings nicht nur der Blick auf die Gehaltsabrechnung, sondern auch der auf die privaten Portfolios. Immerhin sind viele EZB-Mitglieder professionell in Entscheidungen involviert, die Kurse an den Finanzmärkten massiv beeinflussen.
Mit Beginn des Jahres traten verschärfte Regeln für die persönlichen Investments der hochrangigen Beamten in Kraft. Das Ethik-Komitee der EZB hatte den Verhaltenskodex weiterentwickelt, nachdem im Herbst 2021 zwei Beschäftigte der US-Notenbank zurücktraten, als ihre privaten Finanztransaktionen bekannt wurden. Interessenkonflikte können rasch entstehen: Auf der einen Seite könnten die Notenbanker von Informationen aus ihrem Arbeitsumfeld bei privaten Anlageentscheidungen profitieren, auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass das persönliche Depot geldpolitische Entscheidungen beeinflusst.
Konkret bedeuten die neuen Regeln für die Mitglieder des Direktoriums, des EZB-Rats und des für die Bankenaufsicht zuständigen Aufsichtsgremiums, dass sie keine Einzelaktien und keine Anleihen einzelner Länder halten dürfen. Stattdessen kommen nur noch breit anlegende börsengehandelte Fonds (ETFs) und Investmentfonds in Frage. Außerdem verlängert sich die Mindestanlegedauer von einem Monat auf zwölf Monate. Wertpapiere, die vor Amtsantritt gekauft wurden und nicht den Regeln entsprechen, dürfen zwar gehalten werden. Der Verkauf muss allerdings mit dem Ethik-Komitee abgesprochen werden.
Eine weitere Regelung sieht vor, dass alle Finanztransaktionen des zurückliegenden Kalenderjahres veröffentlicht werden müssen. Darüber hinaus müssen Transaktionen in Höhe von über 50.000 Euro mindestens 30 Tage im Voraus gemeldet werden.
Die Portfolios der Währungshüter
Jedes Jahr veröffentlicht die EZB Daten zum Vermögen ihrer Direktoriumsmitglieder. Die sagen zwar nichts über die absolute Höhe der Vermögensanlagen, liefern aber einen Überblick darüber, für welche Finanzprodukte die Geldpolitiker sich entschieden haben.
Das Portfolio von Präsidentin Lagarde beispielsweise mutet äußerst schlicht an. Für sie haben die Regeländerungen keinen Handlungsbedarf ausgelöst, da sie vorher bereits ausschließlich in breit aufgestellte Fonds investiert hatte. Dabei handelt es sich zum einen um den offenen Aktienfonds BNP Paribas Europe Dividende Responsable Classic, der in Frankreich registriert ist, zum anderen um den Mischfonds Polaris Moderate der Frankfurter Privatbank Oddo BHF. Letzterer ist mit einer Mischung aus Aktien, Anleihen, Liquidität und Geld eine eher konservative Wahl für den Vermögensbestand.
Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel hielt 2020 indessen noch über 30 Positionen, darunter viele Einzelaktien. Doch ihr Portfolio hatte sie bereits 2021 verändert und ist damit der Regeländerung zuvorgekommen. Übrig geblieben sind elf verschiedene Fonds. Am Dividendenklassiker DWS Top Dividende hält Schnabel fest, ebenso an diversen ETFs, die Entwicklungen von Staatsanleihen, nachhaltigen Unternehmen und Schwellenländern nachbilden.
Beide Frauen haben außerdem angegeben, dass sie mehr als 100.000 Euro auf einem Konto bei einer Bank geparkt haben, die der Aufsicht der EZB unterliegt. Mit solchen Rücklagen ist es vermutlich leichter, ein Signal gegen den Lohndruck zu setzen.
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Author: Heather Owens
Last Updated: 1704088682
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