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Kontrollen in Internet-Agenturen: Warum Stundenerfassung Quatsch ist [Kolumne]


Verkaufen von Zeit, wenn Business-Value gefragt ist

Seit jeher rechnen wir in der Digitalwirtschaft unsere Leistungen nach Zeit ab. Wir setzen je nach Rolle des Mitarbeiters (Developer, Integrator, Projektmanager, Berater etc.) einen Preis pro Zeiteinheit fest und verrechnen dann die eingesetzte Zeit entsprechend. Die Mitarbeiter haben eine gewisse Arbeitszeit zu leisten, erhalten für diese definierte Zeit auch ein Gehalt und verursachen in der Gewinn- und Verlustrechnung der Agentur auf diese Weise den Hauptteil der Kosten. Das scheint in sich geschlossen logisch und stringent.

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Eine genaue Abrechnung der Zeit bringt nicht immer den gewünschten Erfolg. (Foto: Apple)

„Meist sieht die Soll-Kalkulation von Agenturen nicht so aus wie die Realität.“

Der Kunde hingegen will ein Deliverable erhalten. Er will ein Gewerk oder ein Resultat erhalten, das er für sein Business einsetzen kann. Es soll von möglichst guter Qualität sein und möglichst schnell geliefert werden. Es soll ihm einen Nutzen stiften, der ihn in seinem eigenen Geschäft einen Vorteil verschafft. Das Deliverable soll also einen Business-Value haben. Im Idealfall deckt das Entgelt, das der Kunde für den Business-Value des Deliverables zu zahlen bereit ist, den Preis, den die Agentur für die Summe der dafür aufgewendeten Zeit verlangt. Alle sind zufrieden.

Jetzt ist das mit dem Idealfall wie mit dem Wolf in der Schweiz: Er kommt nur selten vor. Die Regel ist eher, dass entweder der Kunde oder die Agentur die Erwartungen zurückschrauben muss. Meist sieht die Soll-Kalkulation von Agenturen nicht so aus wie die Realität. Die Realität ist meist signifikant schlechter.

Pseudo-Controlling

In vielen Agenturen kommt daher irgendwann in diesem Punkt eine gewisse Bewegung rein. Man sensibilisiert sich gegenseitig für das Thema, rechnet sich vor, was man für Margen hätte und was man mit dem Geld alles tun könnte, wenn man denn nur alle Stunden, die auf das Projekt gebucht wurden, auch abrechnen könnte. Ein solides Dienstleistungs-Controlling habe ich bisher nur ganz selten gesehen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Leute, die im Agentur-Management sind, haben in den seltensten Fällen das notwendige Wissen zur Kostenrechnung. Dass die Branche mit ihren Eigenheiten (aus der Sicht der Old Economy) noch jung ist, tut dann sein Übriges dazu. Es fehlen schlicht etablierte Konzepte wie wir sie zum Beispiel in der industriellen Produktion kennen. Und so sind denn mehr oder minder kreative und ausgefeilte Konzepte im Einsatz, um zumindest einen gewissen Anhaltspunkt über die Rentabilität der Projekte zu erhalten.

Spannend finde ich, dass meist die Resultate von Projekt zu Projekt wieder anders interpretiert werden. Bei Projekten, die grundsätzlich gefallen, aber im Minus sind, werden dann allerlei Soft-Factors „rein-monetarisiert“ (zumindest mental). Projekte, welche in Ungnade gefallen sind, bleiben dies meist auch, wenn sie rentabel sind. Das finde ich persönlich nicht einmal unsympathisch, auch wenn es aus objektiver Sicht grober Unfug ist, zeigt es doch, dass die ökonomische Komponente nicht immer über allem steht.

Stundenerfassung

„Die Mutter jeder Kostenrechnung ist die Stundenerfassung.“

Die Mutter jeder Kostenrechnung ist dabei eben diese Stundenerfassung. Bei den allermeisten Mitarbeitern höchst unbeliebt. Denn zum einen fordert sie vom Mitarbeiter eine ganze Menge Disziplin ab, zum anderen ist sie von der Arbeitsweise her nur für ganz wenige Mitarbeiter geeignet. In Agenturen lebt vieles von Impulsen, von schnellen und von langsamen Phasen. Das konstante Tracken von Zeit versucht hier Fakten zu schaffen, wo gar keine klaren sind. Denn die aufgewendete Zeit steht meist nur in sehr abstraktem Zusammenhang zum Deliverable und damit zum Business-Value für den Kunden. Und genau das ist der Kern des Problems. Denn der Kunde versteht meist nicht, warum Feature A bedeutet, dass x Stunden eingesetzt werden müssen. Nicht, weil er es beurteilen könnte, nein, sondern weil das Feature A für ihn einen gewissen Business-Value hat. Liegen die Kosten für ihn nicht im Verhältnis zum Business-Value, versteht er den Aufwand nicht. (Nicht zu verwechseln mit dem Kunden vom Typ „Viel Ahnung von nichts“, der einfach alles ganz einfach findet und jeden Aufwand in Frage stellt).

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Nicht immer lässt sich der Umfang eines Software-Projekts gut einschätzen.

Erst recht schwierig wird es, wenn die aufgewendete Zeit schwankt. Aber genau das ist eben Software-Development; nur annähernd einschätzbar. Wer etwas anderes behauptet, hat bisher nur Templates integriert. Der Kunde geht aber davon aus, dass jeder Schritt völlig kalkulier- und einschätzbar ist. Er ist sich der teilweise explorativen Art dieser Arbeit nicht bewusst. Als hätte der (pflichtbewusste) Developer darunter nicht schon genug zu leiden, kommt jetzt auch noch die Agentur und pfercht ihn in das Korsett der Stundenerfassung. Toll sind auch die peinlich genauen Rapporte, darauf fußende Gespräche, wenn die Zeiten schlecht sind. Das sind alles Dinge, die wirklich gute Entwickler meiden wie die Pest. So auf jeden Fall meine Erfahrung.

Falsche Auslese

Und diese Stundenerfassung fördert eben gerade die falsche Auslese. Werden Zeiten genau getrackt, und jede Fehlzeit angemahnt oder „besprochen“, wird der Entwickler dazu übergehen, übertrieben zu schätzen. Die Agenturleitung wird dann zwei, dreimal mit diesen Schätzungen in Pitches gehen und merken, dass sie völlig überteuert sind. Beim nächsten Pitch lassen sie die Schätzung der Entwickler im Raum stehen und machen einen günstigeren Preis. Das Controlling wird dann aber trotzdem auf diesen Preis setzen und wieder bekommt der Entwickler die Kritik ab. Das sind die typischen Trampelpfade, die sich ergeben. Ein idealer Nährboden für Frustration für alle.

Zudem, wird die Arbeitszeit so detailliert getrackt, ergeben sich in der Regel eine Menge Überstunden. Die Mitarbeiter, die viel Zeit brauchen und daher lange im Office bleiben, haben viel Überzeit, jene, die wenig Zeit geloggt haben, stehen in einem schiefen Licht. Es liegt aber in der Natur eines guten Entwicklers, dass er eben in kürzerer Zeit bessere Deliverables abliefert. Misst man mit der Skala „Mehr Zeit geloggt gleich mehr Einsatz“, belohnt man konsequent die falschen. Und die guten Entwickler gehen über kurz oder lang.

Minimale Zeiteinheit: Ein Tag

(Foto: Shutterstock)

Wird Arbeitszeit in einer Agentur sehr genau erfasst, entstehen schnell Überstunden. (Foto: Shutterstock)

Was kann man dagegen tun? Ich denke: jede Menge. Anfangen würde ich damit, dass ich nur noch Arbeitstage logge und diese Tage auch nicht vom Entwickler selbst sondern vom Teamleiter. Das bedingt ganz bewusst ein paar Dinge:

  1. Sensibilisierung beim Kunden

    Der Kunde wird, vor allem mit mittleren und kleinen Agenturen, erstmal nicht verstehen, dass man die Zeiterfassung nur auf einen Tag genau macht. Es kostet doch jede Stunde. Erklärt man ihm aber, dass Softwareentwicklung keine exakte Wissenschaft ist und dass die Stundenerfassung sehr viele negative Effekte hat, habe ich die Erfahrung gemacht, dass das sehr wohl verstanden wird.
  2. Ein Tag ist ein Tag

    Es liegt in der Natur unseres täglichen Lebens, dass es solche und solche Tage gibt. An manchen Tagen gelingt alles und an anderen einfach fast nichts. Das muss man auch im Projektgeschäft akzeptieren. Indem man alle Tage einfach als eine Einheit loggt, gleicht man eine aufkeimende (mentale) Erwartung aus, es müsse immer alles gleich super laufen. Thomas Layh schreibt dazu in seinem Blog:

    „Wir sind keine Maschinen, wir nutzen sie nur zur Arbeit.“

    Mit dem viel unschärferen Zeit-Tracking in Tagen statt Stunden trägt man diesem Umstand Rechnung.

  3. Überstunden gibt es keine
    Werden keine Stunden getrackt, gibt es auch keine Überstunden. Das heißt nicht etwa, dass der Mitarbeiter, wenn es das Projekt erfordert, mal nicht länger Arbeiten müsste. Wie gesagt, ist ein Tag ein Tag. Manchmal ist es halt so, dass man sich durchbeißen muss, an anderen Tagen kann man das wieder kompensieren. Für das Management von Agenturen sind Überstundenberge ein Gräuel (zu Recht). Durch das Tracking in Tagen ist der Mitarbeiter selbst verantwortlich, möglichst schnell einen Zeitausgleich zu machen. Das Agentur-Management ist gefordert, diese Freiräume auch zu gewährleisten. Der Benefit ist für Mitarbeiter wie auch die Agentur groß; Der Mitarbeiter hat weniger Druck und Stress und die Agentur muss sich nicht mit Stundenabrechnungen, Überzeitdiskussionen etc. herumschlagen. Und weniger Ärger für alle ist es allemal.

Paradigmen-Wechsel im übergeordneten Sinn

In meinem Artikel zum Tag der Arbeit habe ich geschrieben, dass wir in der Wirtschaft ein Modell finden müssen, das den Wert der Arbeit nicht mehr primär an die mit Arbeit verbrachte Zeit knüpft, da die Effizienzgewinne durch die technologischen Fortschritte die notwendige Arbeitszeit seit Jahrzehnten verkürzt. Das wird auf Dauer von unserem System her nicht gut gehen. Es wird immer weniger Zeit der Menschen benötigt, um Wertschöpfung zu generieren.

Der Mensch selbst wird aber weiter benötigt. Wir täten also gut daran, das Entgelt für die Arbeit eines Menschen möglichst bald an den Business-Value zu knüpfen. Ich weiß schon, dass das kein leichtes Unterfangen ist. Nicht von ungefähr kommen immer mehr Dienstleistungen als Produkt oder Flat-Rate-Services daher. Der Kunde kann den Zusammenhang zwischen Business-Value und zu entrichtendem Entgelt schlicht viel besser einschätzen.

Modularisierung von Dienstleistungen

In Agenturen mit stark repetitivem Arbeiten kann man das schon recht einfach umsetzen, indem man die Dienstleistungen modularisiert und auch in der Entwicklung und Produktion versucht, möglichst konfigurierbaren und damit universell einsetzbaren Code zu erstellen. Damit rückt dann auch die Zeiterfassung in den Hintergrund, weil ein solches Vorgehen den Aufwand für Features sowieso stark reduziert. Der Preis für die Funktionalität richtet sich weiter nach dem Business-Value für den Kunden.

Und dieser Value sinkt nicht, nur weil man weniger Aufwand hatte, um das Feature bereitzustellen. Und damit wären wir wieder bei dem, was wir in Agenturen ja eigentlich wollen: mehr gesunde Effizienz, mehr zufriedene Mitarbeiter und Kunden und mehr Gewinn am Ende des Jahres.

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Author: Jennifer Jackson

Last Updated: 1703498882

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